Gabriele Starkl, Lehrerin

Seit über 30 Jahren gibt es Integrationsklassen in Wien. Ich arbeite nun 17 Jahre in einer Mehrstufenklasse mit Integration im 14. Bezirk in der OVS Zennerstraße 1 als Klassenlehrerin. Es ist eine herausfordernde, aber sehr schöne Aufgabe. 

Viele Kinder mit und ohne Beeinträchtigung, mit und ohne Migrationshintergrund sind in unserer Klasse gewesen. Es gibt zahlreich gelungene Biographien, die durch das miteinander Leben und Lernen in einem gemeinsamen Rahmen erfolgreich verlaufen sind. 

Da Klassen wie unsere durch massive Einsparungen im Bildungsbereich in Gefahr sind, haben wir noch kurz vor den Sommerferien einen massiven Protest losgetreten, der zumindest für das kommende Schuljahr die Zusage für annähernd notwendige Ressourcen zur Folge hatte. 

Mir geht es aber darum dazulegen, warum diese Lernform so wichtig für das gemeinsame Lernen der Kinder und damit für die Zukunft der Gesellschaft ist. 

Wenige Menschen haben in ihrem Umfeld mit Menschen mit Beeinträchtigungen zu tun. Immer noch gibt es Hemmungen und Vorurteile im Umgang mit Behinderten. Ich habe es in all den Jahren des Unterrichtens erlebt, dass Kinder und damit auch Ihre Eltern durch das gemeinsame Lernen in der Schule von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung ihre Scheu und ihre Hemmungen verlieren. Unsere Schulform der Mehrstufenklasse mit Integration – und es gibt mehr als 30 solcher Klassen in Wien – ist Vorbild, wie Inklusion wirklich gelebt werden kann. Alle Kinder profitieren voneinander und lernen gemeinsam in einem fordernden und fördernden Rahmen.

In der Mehrstufenklasse kommen immer wieder neue Kinder dazu. Jedes Kind schlüpft damit jedes Jahr in eine neue Rolle und wird älter und reifer, auch reicher an Erfahrungen und Strategien im Umgang mit Konflikten. Für Kinder mit Beeinträchtigungen kommen damit jedes Jahr auch wieder neue Spiel- und Lernpartner*innen dazu. Auch sie wachsen in ihrer Rolle und sind irgendwann einmal die „Großen“, die den jüngeren Kindern zeigen können, wie die Klasse funktioniert. Das stärkt sie in ihrem Selbstbewusstsein und lässt sie reifen. 

In Jahrgangsklassen mit Integration geht die „Schere“ von der 1. bis zur 4. Klasse Volksschule immer weiter auf, meist funktioniert es im ersten Jahr noch gut mit viel gemeinsamen Spielen, dann jedoch entfernen sich die Kinder mit und ohne Beeinträchtigung immer weiter voneinander. Kinder mit Beeinträchtigungen benötigen mehr Zeit und Zuwendung, um einen erfolgreichen Lernweg zu bestreiten. Diese Möglichkeit soll es weiterhin geben. 

Kinder unserer Klasse lernen durch die Integration ein aufeinander Achten und Rücksicht nehmen auf Schwächere. Kooperation und Partnerschaft sind für dieses gemeinsame Lernen und Leben unerlässlich. 

Kinder mit Beeinträchtigungen brauchen noch mehr als alle anderen Kinder kleine Klassen und die Zuwendung einer Lehrperson, die sich ihnen wirklich widmen können. Durch die Erhöhung der Klassenschülerzahlen ist dies nicht mehr möglich. Es muss weiterhin möglich sein, dass die Klassenschülerhöchstzahl von 21 nicht überschritten wird!

Seit Jahren ist Österreich mit der Umsetzung des UN Abkommens zur Inklusion mehr oder weniger erfolgreich beschäftigt. Immer wieder werden die Fristen verlängert. Wie kann es sein, dass in diesem Zusammenhang erfolgreiche Modelle der Inklusion, wie die Mehrstufenklassen mit Integration es sind, abgedreht werden sollen?

Ich würde Sie bitten sich in Ihrem Rahmen für den Erhalt dieser Klassen einzusetzen. Ich danke Ihnen dafür herzlich.

Mit freundlichen Grüßen Gabriele Starkl