Dieser Beitrag ist in der Publikation Schulhefte 2/25 am 8.9.2025 erschienen.
Die Rolle von Eltern im Ökosystem Schule ist ambivalent. Ich darf das sagen, ich bin selbst Mutter von zwei Schulkindern und bringe mich in dieser Rolle in die Debatte ein. Eltern, die für ihr Kind nur das Beste wollen, wandeln sich schnell in Eltern, die nur für IHR Kind das Beste wollen. Das gipfelt im schlechtesten Fall in Auswüchsen, wie Tricksen bei der Meldeadresse des Kindes, um in eine bestimmte Schule zu kommen, Drangsalieren von Lehrer:innen, was die Noten des Kindes angeht, um nur ja den Besuch eines Gymnasiums zu ermöglichen, etc. Letztlich sind aber genau diese Auswüchse zu einem ganz großen Teil weniger Ausdruck von Superegoist:innen, sondern des Versagens eines Bildungssystems, das schon von Beginn an drastisch vermittelt: Über die Zukunft deines Kindes entscheidet mehr, in welche Schulen es gegangen ist, als welche Potentiale in ihm schlummern. Und Pädagog:innen können noch so bemüht sein, auf die Stärken der Kinder zu schauen und wertschätzend zu sein, früher oder später schlägt der Mechanismus des Systems zu wie das unvermeidliche Tonnengewicht von oben in einigen Sketches der Monty Pythons. Der Druck erscheint oft übergroß.
Wir wissen auch, dass wir ein Schulsystem haben, in dem Kinder, die mehr Unterstützung von zu Hause bekommen, überproportional erfolgreicher sind. Die Möglichkeit der Eltern, ihre Kinder zu unterstützen, liegen aber sehr weit auseinander, was wiederum die Vererbung von Bildung vorantreibt und damit die Bildungsschere noch weiter aufgehen lässt. Dieser Effekt verstärkt sich bei Kindern mit Behinderungen. Hier ist die Schullaufbahn und Bildungsmöglichkeiten noch einmal mehr davon abhängig, wie viel Kapazitäten Eltern haben, sich für ihr Kind mit dem System und Behördengängen vertraut zu machen, sich lautstark einzusetzen und zu Hause zu unterstützen. Zeit und Geld ist gefragt, um privat Therapien zu absolvieren. Das heißt die Schere geht hier noch einmal mehr auseinander als bei Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf.
Ambivalent ist etwas aber erst, wenn es auch positive Seiten gibt. Und Eltern können eine sehr wertvolle Rolle spielen in der Schule und im Bildungssystem. Als Elternvertreter:in, im Elternverein, bei Schulfesten und vielen anderen Aktivitäten können Eltern oft andere Blickwinkel und Kompetenzen einbringen als die Pädagog:innen. Das kann sehr fruchtbar sein und den Lebensort Schule massiv bereichern.
Und auch wenn es um Kritik geht, ist die Rolle von Eltern wichtig. Sie können, wenn es in der Schule gut moderiert wird, wenn von der Schulleitung Gesprächsbereitschaft signalisiert wird, Probleme ansprechen sowie auf blinde Flecken hinweisen und so Verbesserungen anstoßen. Und wenn wir auf das ganze Bildungssystem schauen, ist die Rolle von kritischen Eltern meines Erachtens immens wichtig. Immer wieder wurde uns auch erzählt, dass Weiterentwicklungen gerade in Sachen Inklusion und innovativen Schulversuchen von Eltern wesentlich vorangetrieben und durchgesetzt wurden und zum Teil durch ihre Mitarbeit erst möglich wurden (z,b, zu Anfang der Mehrstufenklassen). Pädagog:innen sagen uns Eltern auch oft: Wenn wir das ansprechen, wird es niemand hören oder es wird das gewohnte Jammern von Lehrer:innen abgetan. Wenn jedoch Eltern Kritik üben, bei der Bildungsdirektion, beim Stadtrat, in den Medien wird das sofort viel ernster genommen. Und ja es stimmt, wir in der Eltern-Lehrer:innen-Initiative Bessere Schule Jetzt! haben oft das Gefühl gehabt, dass wir gehört werden bzw. dass hektisches Tun einsetzt, wenn wir uns an die Medien wenden.
Die große Stärke liegt also im Bündnis zwischen Eltern und Lehrer:innen. Unsere Initiative hätte es ohne dieses Bündnis gar nicht gegeben. Eine engagierte Lehrer:in beschloss ihren Elternvertreter:innen zu erzählen, dass im nächsten Schuljahr die Teamstunden in integrativ geführten Mehrstufenklassen einfach gestrichen werden sollen. Das hätte, zu einer massiven Personalkürzung in Mehrstufenklassen, die Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichten, geführt. Durch den sehr schnell und gemeinsam organisierten beharrlichen Protest konnte dieses Vorhaben gestoppt werden. Durch stetiges voneinander Lernen, Vernetzung, Medienarbeit, Ressourcen der Eltern mit verschiedensten beruflichen Erfahrungen und Insistieren konnte eine Zusage errungen werden, dass die Stunden langfristig erhalten bleiben.
Ich gebe auch zu, dass es für mich eine mitunter recht angenehme Rolle ist, aus der Elternperspektive heraus zu kritisieren. Denn ich kann sagen, was ich beobachte und was ich gehört habe und diese Missstände aufzeigen bzw. Unverständnis über ineffiziente Doppelstrukturen oder undurchschaubare Entscheidungsstrukturen äußern. Ich muss noch keine fertigen Lösungen präsentieren. Und ich kann all das unbelastet von Angst über Disziplinarverfahren tun. Denn wir haben auch gelernt, dass das Schulsystem extrem hierarchisch aufgestellt ist und sich Lehrer:innen kaum trauen Missstände offen anzusprechen. Ich hatte oft den Eindruck, dass das Beharren und Hinweisen auf Dienstwege hier von Beginn an eintrainiert wird und die Möglichkeit aufzubegehren nicht einmal gesehen wird. Hier leistet die Initiative Schule brennt in meinen Augen Großes, nämlich Möglichkeiten der Ermächtigung und des Aktionismus bzw. des Kritisierens für Lehrer:innen aufzuzeigen und zu erproben.
Es geht dabei um eine Politisierung, nicht im parteipolitischen Sinn, sondern wahrzunehmen, dass die eigene Position zum System Schule und den Entscheidungsträger:innen eine hochpolitische ist, egal wie ich mich positioniere. Und genau das haben wir auch bei den Protesten von Bessere Schule Jetzt oder bei den Aktionstagen Bildung gesehen. Da waren auch von Elternseite ganz viele dabei, die zum ersten Mal auf einer Demonstration waren, zum ersten Mal eine aktive Rolle dabei eingenommen haben. Es war für ganz viele Eltern und Lehrer:innen ein politischer Lernprozess zu sehen, dass eine Demo nicht zwangsläufig einen schwarzen Block hat, sondern eine lustvolle und oft auch zielführende Möglichkeit sein kann, Kritik zu üben und auf Missstände hinzuweisen. Und automatisch wurden dadurch auch Kinder mit politisch gebildet, denn der Rahmen war so sicher, dass Kinder mitgehen und die selbst gestalteten Plakate laut präsentieren konnten. Dieses Lernen und Ausweiten politischer Handlungsmöglichkeiten ist einer der Punkte, auf die ich am meisten stolz bin, wenn ich auf die Arbeit der letzten 3,5 Jahre zurück schaue.
Wie können wir aber mehr Eltern von den anfänglich beschriebenen destruktiven Interventionen zu mehr konstruktiver Form der Kritik bringen? Oft verstehen Eltern erst, wenn sie ein größeres Bild über das Schulsystem haben, wie sehr die Arbeit von Lehrer:innen sich zunehmend von ihrer Kernaufgabe entfernt bzw. diese erschwert wird. Eltern, die vom alltäglichen administrativen Irrsinn im Schulalltag hören, sind entsetzt über ineffiziente Doppelstrukturen. Oder wenn offenkundig wird, was die konkreten Auswirkungen von politischen Entscheidungen auf die tägliche Arbeit in der Klasse ihres Kindes sind: wenn z.B. die Anzahl der Kinder in einer Klasse steigt und es gleichzeitig weniger Teamteaching und Förderstunden gibt und daher Kinder kaum mehr individuell gefördert werden können. Erst mit diesem größeren Bild kann sich der Blick der Eltern über die Klasse des eigenen Kindes hinaus weiten.
In unserer Initiative haben wir öfters schon Schulleitungen und Lehrer:innen dazu aufgefordert, die Probleme, die das System bzw. die politischen Entscheidungen der Schule und der einzelnen Lehrer:in zu schaffen machen, den Eltern offensiver zu kommunizieren. Sagt doch den Eltern, warum deren Eindruck stimmt, dass immer weniger Zeit für die individuelle Förderung der Kinder bleibt! Sagt doch den Eltern, dass die Deutschförderklassen keine Chance auf Integration und Spracherwerb bieten, sondern diesen erschweren. Sagt doch den Eltern, dass schon wieder ein paar Stunden hier und da gekürzt wurden. … Dies wird aber viel zu wenig gemacht, denn viele fürchten, dass sie damit den eigenen Schulstandort schlecht reden oder zugeben, dass sie überfordert sind.
Gleichzeitig ist klar, dass es zunehmend zu einem Privileg wird sich politisch engagieren zu können. Denn dieses Engagement braucht Zeit und diese frei zu schaufeln ist gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht selbstverständlich. Dann kommt noch der Aspekt dazu, dass sich Eltern oft nur für das Schulsystem interessieren, solange sie Eltern im System sind. Sind die Kinder der Schule entwachsen, folgt oft die große Erleichterung sich nicht mehr damit auseinandersetzen zu müssen. Endlich weniger Stress!
Ich glaube nur mit dem vorhin erwähnten weiteren Blick können wir Menschen motivieren einerseits für alle Kinder zu kämpfen und sich andererseits über die Schulzeit der eigenen Kinder hinaus zu engagieren. In diesem Sinne sehe ich Eltern, Lehrer:innen, Schulleiter:innen weiterhin gefordert lautstark zu kommunizieren, dass ein neues, inklusives, gerechtes Schulsystem, das kein Kind zurücklässt ALLEN Kindern und Jugendlichen und letztlich unserer Gesellschaft zugutekommt.
Kurzbio: Angie Weikmann, selbständig in der IT-Branche tätig. Mitgründerin der Initiative Bessere Schule Jetzt! (https://bessereschule.jetzt), Mitorganisatorin des Aktionstags Bildung 2023 und 2024 (https//aktion-bildung.at