Warum Lehrer:innen aufhören.


Dieser Text ist ein offener Brief einer Wiener Volksschullehrerin, die aus Idealismus in ihren ursprünglichen Beruf als Lehrerin zurückgekehrt war, nach zwei Jahren nun aber wieder kündigt. Wir durften sie in ihrer Klasse besuchen und fanden alle unsere bisherigen Forderungen bestätigt. 25 Kinder (in einer sehr diversen Zusammensetzung, was Alltag in Wiens Volksschulen ist!) in der 2. Schulstufe begleiten, bilden, betreuen, das ist kein Job für nur eine Person!

Hier zählt die Lehrerin auf, was aus ihrer Sicht die Gründe dafür sind, warum gut ausgebildete Lehrpersonen der Schule den Rücken zukehren und das Bildungssystem frustriert verlassen. Es ist ein sehr persönlicher Text und wir danken für die Erlaubnis, ihn veröffentlichen zu dürfen.

1. Kein Rückhalt für zeitlich flexible Lehrverpflichtungen


Besser eine „halbe“ gut ausgebildete Lehrperson im Stand zu halten, als gar keine. Sollte man meinen. Die Bildungsdirektion geht den genau gegensätzlichen Weg. Lieber keine pädagogisch qualifizierte Person, aber dafür neue Quereinsteiger:innen, die noch nicht genau wissen, was auf sie zukommt. Denn Teilzeitbeschäftigung will das Bildungssystem nicht.


Durch steigende Anforderungen im Lehrberuf, wird die Stundenreduktion jedoch attraktiver und wichtiger für die Psychohygiene von Lehrpersonen. Dennoch wird das von der Bildungsdirektion blockiert.

2. Quereinsteiger*innen


Können frischen Wind hineinbringen, können durchaus gut sein, wenn sie das „kalte Wasser“ in das sie – meist ohne Mentoring – getaucht werden – überstehen. Ich sehe keine Anreize, wonach erfahrene Lehrpersonen motiviert werden, ihr Wissen an Quereinsteiger*innen weiterzugeben. Das könnte ganz einfach gemacht werden, in zusätzlich abgegoltenen MDL (Mehrdienstleistungen), oder Stundeneintauschungen, wo ein*e Mentor*in in einer Praxisstunde der Quereinsteiger*in Feedback gibt.

3. Versetzungsverbot

In meiner Schule wurde ein Versetzungsverbot ausgesprochen. Vermutlich weil zu viele Versetzungsansuchen gestellt wurden, vielleicht weil die Halbtagsschule in eine GTVS umgewandelt werden sollte? Vielleicht weil wir eine sogenannte “Brennpunktschule” sind?

Wenn so etwas in einer Schule ausgesprochen wird, ist das ein alarmierendes Signal, dass hier das Bildungssystem beinhart an seine Grenzen kommt, oder diese überschritten wurden. Statt ein Verbot auszusprechen und Lehrpersonen an eine Schule zu binden, sollte man die hohen Anforderungen herunterschrauben und fragen: was braucht ihr hier? Warum wollen so viele Lehrpersonen aus einer Schule wechseln? Ein Verbot ist ein völlig falsches Signal.

4. Bürokratischer Mehraufwand

Der bürokratische Aufwand wird besonders in Wien immer mehr – im Vergleich zu anderen Bundesländern ist dort verhältnismäßig weniger zu tun. So erzählen es zwei Kolleg*innen, die dieses Jahr nach Niederösterreich gewechselt sind. Warum gibt’s da so einen Unterschied?
Warum wird der Aufwand in Wien immer mehr? Warum dauert das Ausfüllen eines Unfallberichtes nun doppelt so lange wie früher?

5. Veraltetes Schulverwaltungssystem Wision

Darüber sind schon Wälzer an Beschwerden geschrieben worden, geändert hat sich seit Jahren nichts daran. Es ist langsam, nicht benutzerfreundlich und veraltet. Dass man unzählige Schritte braucht, um einen einfachen Lehrausgang / Ausflug als Klasse anzumelden ist noch das geringste Übel. Eine Privatwirtschaft würde dieses System hochkant hinauswerfen – wir Lehrpersonen müssen uns damit abfinden. Und das auch nur in Wien – in allen anderen Bundesländer werden andere Verwaltungssysteme verwendet.

Was es aber besonders mühsam macht: Alle Anträge, um Kinder beispielsweise schulpsychologisch testen zu lassen, können nur von einer Person ausgefüllt werden. Will man sich im Team (Förderlehrer*innen, Beratungslehrer*in) absprechen, oder auch nur das 4 Augen Prinzip anwenden, funktioniert das in Wision nicht. Ein gemeinsames Bearbeiten eines Antrages ist nicht möglich. Da fehlt ein entscheidender Schritt im System.

6. Überbordende Anforderungen durch heterogene Klassen

Ich fühle mich als Klassenlehrerin ständig den Kindern nicht gerecht werdend:

  • einerseits muss ich individualisieren auf unterschiedlichsten Deutsch-Niveaus,
  • habe in meiner Regelklasse Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF), weil die Integrationsklassen voll sind,
  • habe Kinder, die am SPF gerade so vorbei schrammen, keinen bekommen, aber einen bräuchten (im Sinne des Kindes).
  • Es gibt Kinder, die sich in der Zeit fadisieren, weil sie in kürzester Zeit mit allen Aufgaben fertig sind
  • und es gibt Kinder die ich nicht erreichen kann, weil sie Schwierigkeiten in der Kommunikation und dem In Kontakt Treten mit anderen Menschen haben.

Zwischen diesen Herausforderungen fühlt man sich zerrissen, weil man für keines der Kinder die angemessene Zeit hat, die sie bräuchten. Von den zusätzlichen 4 Stunden pro Woche an unterstützenden Pädagog:innen, die mir für „mangelhafte“ Kinder (was für ein grauenvolles Wort) aufgrund des MIKA-D Tests (was für ein absurder, unnötiger Test, der unbedingt abgeschafft gehört) zustehen, finden diese zu 70% der Zeit nicht statt, da die Lehrperson selbst supplieren muss, krankheitsbedingt ausfällt und natürlich kein Ersatz vorhanden ist. Mehr personelle Unterstützung, gerade an sehr heterogenen Standorten (Brennpunktschulen) ist das Gebot der Stunde.

7. Fehlender Austausch mit Erwachsenen

Als Klassenlehrerin einer Regelklasse hat man kaum Austausch während des Schultages mit anderen erwachsenen Menschen – das ist zermürbend. Da fehlt der oftmals beruhigende, entspannende Austausch, wenn eine Situation herausfordernd wird. Warum hat sich das Konzept des Teamteachings aus der Mittelschule nicht auch in Volksschulen durchgesetzt? Gerade in Brennpunktschulen wäre das ein absolutes Muss, um Kinder bestmöglich zu fördern. Wo Sprache fehlt, steigen Konflikte – „der nervt mir“– bei Teamteaching könnte ein*e Teamlehrer*in rascher Konflikte klären, während die zweite Lehrperson die anderen Kinder weiter unterrichten könnte. Und nicht alle Kinder immer zum Warten verdonnert sind (und sich langweilen).

8. Respektlosigkeit

Es ist dies ein breiter Fächer, was als respektlos gewertet werden kann.
Kinder unterbrechen andere Kinder, hören ihnen nicht zu beim Erzählen, fallen ins Wort. Unterbrechen die Lehrperson. Respektlos können aufgebrachte Väter sein, die eine weibliche Lehrperson ignorieren. Respektlosigkeit kommt vor, wenn Eltern immer wieder ohne Termin in die Klasse platzen, um eine Ungerechtigkeit zu besprechen. Vor allem aber ist das System respektlos. Wir Lehrer*innen sollen alles machen. Steht ein Umbau an, mutieren wir zum Räumungs- und Wegwerfdienst. Gibt es ein Schulfest, sind wir die Partyclowns. Wir werden ständig vor vollendete Tatsachen gesetzt. Niemand fragt etwa, ob wir als Team lieber eine verschränkte GTVS oder eine offene Schule wären. Warum sollten wir auch mitbestimmen? Wir arbeiten ja nur hier, kennen die Räume, Kinder, Möglichkeiten. Mit dem Ergebnis, dass zahlreiche Lehrer*innen die Flucht ergreifen.

Aber „irgendwie“ werden wir es schon wieder hinbekommen. Immer kurz vor dem Nervenzusammenbruch, dem Burnout. Und warum machen wir das alles? Weil wir im Grunde unseres Herzens unseren Beruf lieben. Er ist unsere Berufung. Wir WOLLEN mit Kindern arbeiten. Aber die Steine, die uns in den Weg gelegt werden, werden immer größer. Wir ersticken in Formularen, Brandschutzkonzepten und Listen. Die Kinder können wir schon fast nicht mehr sehen. Auch, dass Stundenreduzierungen und Versetzungen nicht zugestimmt wird, ist respektlos.

9. Sonderpädagogischer Förderbedarf ohne Ausbildung

Wird einem Kind ein Sonderpädagogischer Förderplan zugesprochen, bleibt das Kind meist in der Klasse und soll in „Einzelintegration“ von der Klassenlehrperson betreut werden. Die Informationen, wie man nun damit umgehe, sollte man sich von Sonderpädagogik-Kolleg*innen selbst organisieren. Es gibt eine Holschuld der Lehrperson, für ein System, das diesem Kind nicht mehr gerecht wird.

Warum gibt es da nicht sofort ein Handout, was nun zu tun ist? Welche Bücher unter dem Jahr bestellt werden können, welche Form der Benotung man andenken muss, welche Hausübungen man geben kann, wie die Klasse darauf vorbereitet wird, dass das Kind nun mit anderen Büchern arbeitet. Welche Form des Teamteachings angedacht wird, welche Form des Assistenz ermöglicht wird.

Da braucht es deutlich mehr (sofortige) Unterstützung von außen.

10. GTVS ohne genügend Lehrpersonal und Freizeitpersonal ist ein reiner Schwindel

Nun wurde für unsere Schule bestimmt, dass sie eine GTVS werden solle. Den Eltern vorgeschwärmt, wie toll es sei, wenn zwischen Freizeit und Unterrichtsstunden abgewechselt werden würde, was es an Zusatzkursen am Nachmittag alles geben wird. Oh welch Schwindel. Wo gibt es die Freizeitpädagog*innen, die Lehrpersonen, die diese zusätzlichen Stunden überhaupt leiten können? Wo gibt es die zusätzlichen Räumlichkeiten, wo all das möglich ist? Wenn überhaupt, wird es Personen geben, die unsere Kinder beaufsichtigen können – weder fordern, noch fördern können, da auch die Ausbildung dafür fehlt. Die größte Farce, den Eltern eine pädagogisch sinnvolle Freizeitgestaltung vorzugaukeln. Ja, bei einigen wird dies besser sein, als vor dem Fernseher zu versinken. Ein liebevolles Dasein zu Hause jedoch einzutauschen gegen ein reines Anwesend sein in einer Nachmittagsbetreuung, ohne Individualisierung, ohne Rücksichtnahme auf die Wünsche der Kinder – weil das aufgrund von personeller Unterbesetzung nicht möglich ist, ist ein Schwindel an allen Eltern, die das Beste für ihr Kind wollen.

11. Ausbau von Halbtagsschulen in Ganztagesschulen

Eine alte Halbtagsschule, wo sich pädagogisches Material von über 60 Jahren angesammelt hat, auszuräumen, ist kein Leichtes. Dass das aber durch Lehrkräfte passieren muss, die Kisten schleppen dürfen, ist nicht in unserem Jobprofil vorgesehen. Dass diese Lehrpersonen vom Unterrichten abgezogen werden, was der Qualität des Unterrichts schadet, wird in Kauf genommen.

Dass man für den Zubau zu einer Ganztagsvolksschule den Garten, die einzige Freifläche für die Kinder, verwendet, ist aber eine Farce. Gerade und besonders in Ganztagsschulen, wo ein Kind den Großteil seines Tages verbringt, müsste es besonders viele Freiflächen geben, wo Kinder auch spielen dürfen! Platz haben, sich selbstständig, frei zu bewegen, und ja, auch ihre Konflikte austragen zu können – und diese lernen selbst zu lösen. In beengten Innenräumen funktioniert das nicht.

12. Lehrer*innenmangel

Warum gibt es diesen?

Dass das Bildungsministerium gemeinsam mit der Bildungsdirektion in Wien da eine absolute Fehlplanung hatte, wurde kürzlich vom Rechnungshof bestätigt. Dass Corona und der Ukrainekrieg die Schuldigen sind, greift aber zu kurz.

Völlig falsch ist der Zugang, Lehrpersonen von Teilzeit in die Vollzeit zu drängen, wenn die Umstände (wie oben beschrieben) nicht stimmen.

Es gibt keine Motivation für eine Klassenführung. Teamlehrer*innen, Förderlehrer*innen haben einen viel geringeren Aufwand als klassenführende Lehrpersonen (wie ich selbst erfahren konnte). Die psychische Belastung ist geringer, man verbessert viel weniger Hausübungen, man schreibt kaum Anträge, meldet keine Ausflüge an, schreibt keine Beurteilungen, hat keine oder kaum Elterngespräche zu führen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum Klassenlehrer*innen und nicht klassenführende Lehrer*innen im neuen Gehaltsschema dasselbe Gehalt beziehen. Und eine Zulage von ein bisschen über 100 Euro im alten System macht das Kraut auch nicht fett. Das motiviert niemanden, sich diesen großen Aufwand anzutun. Die so notwendige Arbeit für die Zukunft unserer Kinder alleine auf dem Idealismus vieler Pädagog*innen aufzusetzen, ist der falsche Zugang. Anreize zur Klassenführung sollten vielfältig aufgesetzt werden und gewählt werden können.

Warum schafft die Bildungsdirektion es nicht zeitgerecht Dienstverträge für Quereinsteiger*innen zu schaffen, wo Vordienstzeiten zu Gunsten der neuen Pädagog*innen angerechnet werden?

Ist der Personalmangel nicht selbstverschuldet aufgrund eines starren Systems, das den multiplen Anforderungen an multiprofessionellen Teams (die es geben sollte) nicht mehr gewachsen ist? Wo Schule soviel mehr sein könnte, als ein Haus, das man als Schüler:in bereits nach der zweiten Schulwoche nur mehr widerwillig betritt?

Es ist allerhöchste Zeit, dass sich unser Schulsystem ändert!
Für unsere Kinder, aber auch für unsere Pädagog*innen.

Pädagogin im alten Dienstrecht, Quereinsteigerin
und Aussteigerin aus dem Schulsystem mit Ende des Schuljahres.