Massiver Rückschritt für Kinder mit Behinderungen in Wiener Volksschulen befürchtet!

Massiver Rückschritt für Kinder mit Behinderungen in Wiener Volksschulen befürchtet!

Die im Juni 2021 von Stadtrat Wiederkehr angekündigte und schon in diesem Schuljahr umgesetzte Reform lässt nach wie vor einen massiven Rückschritt für Kinder mit Behinderungen in Wiener Volksschulen befürchten!

Warum?

  1. In Integrationsregelklassen werden gleichaltrige Kinder mit oder ohne Behinderungen beschult. Eine Vollzeitlehrer:in und eine Sonderpädagog:in betreuen diese Klassen.
    Da die Beeinträchtigungen und damit auch die Bedürfnisse der Kinder sehr vielfältig sind, wurde dies früher durch Doppelt- bzw. Dreifachzählung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf berücksichtigt. Dadurch konnte den Kindern in kleineren Klassen angemessene Bedingungen geboten werden. Die Reform erfordert nun Klassenschüler:innenzahlen von mindestens 25, um zumindest den Pflichtunterricht abdecken zu können. Ausnahmen für Integrationsklassen sind nicht vorgesehen.
  2. In 39 integrativen Mehrstufenklassen (lt. Bildungsdirektion) werden mit reformpädagogischen Konzepten sowohl Kinder mit als auch ohne Behinderung in fünf Schulstufen! (Vorschule & 1. – 4. Klasse) beschult. Vor allem Kindern mit Behinderungen kommt diese Unterrichtsform besonders zugute, weil hier bewusst die Vorteile einer altersgemischten und dadurch sehr heterogenen Gruppe genutzt werden. Je nach individueller Begabung wird für alle Kinder die Unterstützung angepasst, Lerninhalte wiederholt und zusätzliche Förderung ermöglicht.
    Alle Kinder können in ihrem individuellen Tempo lernen.

Bis Juni 2021 führten eine Vollzeitlehrer:in, eine Teamlehrer:in (zuletzt mit meist 11 Stunden) und eine Sonderpädagog:in gemeinsam, in enger Abstimmung und in echter Teamarbeit diese integrativen Mehrstufenklassen. Seit Jahren werden die Teamlehrer:innenstunden gekürzt – und Eltern/Kinder/Lehrer:innen zittern jährlich um das Überleben dieser Klassen.
Für ganz Wien gerechnet handelt es sich hier um ca. 20 Dienstposten für Teamstunden in integrativen Mehrstufenklassen (von 5400 Dienstposten in der Volksschule in Wien).

Seit dem Schuljahr 2021/22 wurden die noch vorhandenen 20 Teamlehrer:innen für ganz Wien komplett gestrichen. Ein „Überleben“ dieser Klassen ist derzeit nur durch die diversen Übergangszuschläge möglich!

Was bedeutet dies in der Praxis?

  1. Eine Vollzeitlehrer:in kann nicht fünf Schulstufen gleichzeitig beschulen. Die Teamlehrer:in war bis jetzt ebenso für die Unterrichtsfächer Deutsch, Mathematik und Sachunterricht zuständig. Wir orten hier eine massive Ungleichbehandlung im Vergleich zu Regelschulintegrationsklassen (hier wird zeitgleich nur eine Schulstufe unterrichtet). Darüber hinaus bemerken wir eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu Mehrstufenklassen ohne Integration, diesen Klassen werden die 10 Teamlehrer:innenstunden weiterhin zweckgebunden zur Verfügung gestellt.
  2. Qualitativ hochwertiger Unterricht wird nicht mehr möglich sein, weil die fehlenden Ressourcen weder von der Sonderpädagog:in noch von der Volksschulpädagog:in dauerhaft kompensiert werden können. Auf der Strecke werden vor allem die schwächeren bzw. behinderten Kinder bleiben.
    Selbst engagierte Lehrer:innen werden, auch wenn es ihnen noch so schwer fällt, die Klassen nicht mehr in dieser Form führen können. Dies ist bereits im letzten Jahr passiert. Eine integrative Mehrstufenklasse im 22. Bezirk läuft bis 2023 aus, siehe hier.
  3. Wenn die Teamlehrer:innenstunden zukünftig nicht zweckgebunden für die integrativen Mehrstufenklassen zur Verfügung stehen (wie es auch für Mehrstufenklassen ohne Integration der Fall ist), besteht die Gefahr, dass diese – für die „Chancengleichheit“ notwendigen Stunden – aufgrund der ohnehin schon viel zu knappen Ressourcen innerhalb der Schule, in andere Projekte fließen.
    Leittragende wären wiederum alle Kinder, die mehr Unterstützung brauchen!
    Engagierte Direktor:innen haben versucht, trotz der in den letzten Jahren immer wieder gekürzten Teamlehrer:innenstunden, integrative Mehrstufenklassen aufrecht zu erhalten. Es ist jedoch zu befürchten, dass es zukünftig für die Schulleitungen einfacher sein wird, Mehrstufenklassen ohne Integration zu führen, weil hier die Teamlehrer:innenstunden selbstverständlich und zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden. Ein weiterer Grund, wieso wir integrative Mehrstufenklassen in ihrer Existenz massiv gefährdet sehen!

Anstatt inklusive Beschulung unter Einhaltung der Kinderrechte und der UN-Behindertenkonvention weiter voranzutreiben, wie auch der Entschließungsantrag von Kira Grünberg und Mag. Sibylle Hammann aktuell im Parlament gefordert, https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A/A_02304/index.shtml wird in Wien gekürzt und auf dem Rücken der Schwächsten in unserer Gesellschaft, Kindern mit besonderen Bedürfnissen und Kindern die mehr Unterstützung brauchen, gespart!

Wir fragen uns, wo die mehr als 200 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, manchmal auch mit leichteren Beeinträchtigungen, die derzeit sehr gut in integrativen Mehrstufenklassen – der inklusivsten Form der Beschulung in Wien im Pflichtschulbereich – beschult werden, ihren Platz finden werden?

Es ist unverständlich, diskriminierend und gegen jegliche Chancengleichheit für alle Kinder integrativer Mehrstufenklassen, nicht das gleiche Ausmaß an Förderungen – in Form von Ressourcen – zu bekommen, wie es bei Mehrstufenklassen ohne Integration der Fall ist.